Was blieb vom „schönsten Mann“?
Film. Helmut Berger brillierte als Ludwig II., NS-Schönling und Verführer, Letzteres auch privat: Nun widmet das Filmarchiv dem im Mai Verstorbenen eine Retrospektive.
12. September 2023
Als Helmut Berger im Mai dieses Jahres 79-jährig in Salzburg starb, leuchteten noch einmal die Blitzlichter seines Schauspiel-Ruhms auf: Die Nachrufe wussten um die Drogen, die er gegen seine Unsicherheit eingeworfen hatte; um den Snobismus des Bad Ischler Hotelier-Sohnes, der vor seinen Fenstern Kristall-Vitrinen konstruieren ließ für Picasso-Keramiken; um seine bisexuellen Exzesse sowieso. In der Autobiographie „Ich“ rückte Berger die Dinge selbst zurecht: Sex habe keine so große Rolle in seinem Glamour-Leben gespielt. Freundschaft sei ihm wichtiger gewesen.
Da war die Lebensbeziehung zu dem Regisseur, Mentor und Geliebten Luchino Visconti, der Berger zu Ludwig II. – und zum Weltstar – werden ließ. Der bayerische Märchenkönig sei seine Schicksalsfigur geworden, bekannte Berger. Mit Romy Schneider verband ihn nicht nur kaiserlich-königliche Verwandtschaft im Film. Auch im Leben standen die beiden einander geschwisterlich nahe. Film und biografische Realität zogen oft parallele Bahnen, so auch in „Gewalt und Leidenschaft“ (Gruppo di famiglia in un interno), den Visconti nach dem fordernden „Ludwig“-Projekt und einem schweren Schlaganfall drehte: Ein für Visconti „kleiner“ Film über einen alternden Professor, der sich in seinen mit Kunstschätzen ausgestatteten römischen Palazzo zurückzieht. Im unaufhaltsamen physischen Decrescendo wird er nochmals von einem jungen Mann fasziniert.
Die Analogie Visconti-Berger war hier offensichtlich. Berger verteidigte Viscontis filmisches Werk stets, auch als es hieß, dessen Stil sei veraltet. Das Adjektiv „viscontianisch“ war zu einem Schimpfwort in der Branche geworden. Doch Berger wusste: Arbeit war Viscontis Leben, sein Leben der Film. Nur in gelegentlichen Pausen hörte er klassische Musik. Visconti wollte in Rom einen „Salon der Intelligenz“ gründen, er war im Grunde seines Herzens ein ernster Mann, so Berger. Auch in ihm, dem Schauspieler, schwangen solche Saiten, er liebte Beethoven, Tschaikowsky. Mozart hing ihm als Salzburger hingegen „zum Hals heraus“.
Angebote für den „Denver-Clan“
Das Paar lebte „europäisch“. Als Berger 1967 die Hauptrolle in „Das Bildnis des Dorian Gray“ nach Oscar Wilde (Regie Massimo Dallamano) verkörperte, verschmolzen Film- und Lebensrealität abermals: „Die Rolle des von allen umschwärmten Playboys, der sich im Jetset tummelt, die Macht seiner Schönheit kalt berechnend ausnützt, lag mir nahe. Vielleicht bin ich auch nur ein Narziss, dem das Fehlen einer biederen Familienidylle weniger ausmacht als die Unmöglichkeit, sich nicht selbst heiraten zu können.“
Film-Angebote kamen auch aus Amerika, sogar für den „Denver-Clan“, doch Berger hegte keine Liebe für die USA. Die Amerikaner hätten die besten Jeans, Hamburger und seien „business-minded“, hätten aber „einfach keine Kultur“ und seien „puritanisch mit doppelbödiger Moral“. Berger hasste Alltag und Langeweile, suchte Zuflucht in überstürzten Reisen – überzeugt „von der Belanglosigkeit, der Sinnlosigkeit des Lebens, dem Wissen, dass nichts bleibt“.
Doch es blieb allerhand: Das Filmarchiv Wien widmet Berger in den kommenden Wochen eine Retrospektive. Zu sehen sind u. a. „Der Garten der Finzi Contini“, das Oscar-gekrönte, melancholische Drama um eine kultivierte jüdische Familie im Italien des aufkeimenden Faschismus (Regie Vittorio de Sica). Weiters läuft „Das Bildnis des Dorian Gray“ und Viscontis-Deutschlanddrama „Die Verdammten“, das einen Stahlindustrie-Clan 1933 porträtiert. „Die Jäger“ ist ein Psychothriller, der jenseits des Eisernen Vorhanges spielt. In „Salon Kitty“ geht es um das „Verführen für den Führer“ in einem Berliner Edelpuff: Wie bereits in „Die Verdammten“ schlüpfte Berger hier in die Rolle eines NS-Schönlings.
„Reigen“ (Regie: Otto Schenk), nach Arthur Schnitzler, Bergers erster österreichischer Film, steht ebenfalls auf dem Programm. Filmen war für Berger eine Art Arbeitstherapie. „Hilfe beim Psychiater suchte ich nie, ich halte auch nichts von Psychologen“, gab er – übrigens im Gleichklang mit Schnitzler – zu. Und: „Mich treibt einzig und allein der Gedanke, dem Leben mehr Leben zu geben.“ Dazu gehörte für ihn, „mit Leib und Seele Schauspieler“ zu sein und so die innersten Gefühle zu zeigen, die „den Menschen erst ausmachen“.
Billy Wilder, Hollywood-Gigant aus Österreich, soll sich einmal gewundert haben: „Merkwürdig, dass der größte italienische Schauspieler ein Österreicher ist.“