Wie Coco Chanel die Frauenmode neu erfand
Mode. Luxus muss bequem sein, sonst ist es kein Luxus, sagte Coco Chanel: Wie die französische Couturière die Mode revolutionierte, zeigt eine Ausstellung in London.
Das Wirtschaftsimperium unter dem Label CC ist weltumspannend. Es geht nicht um Coca-Cola. Es geht um Coco Chanel. Die Marke hat längst über den Rocksaum der Mode hinaus Stellenwert, besonders im Bereich der Kultur. Dass für die derzeitige Blockbuster-Ausstellung in London nur noch vereinzelte Slots für Eintrittskarten verfügbar sind, erklärte die Modekuratorin des Victoria & Albert (V&A) Museums, Oriole Cullen, so: „Ihre Lebensgeschichte fasziniert alle – doch wir wissen wenig über ihre Kreationen. Dabei war das, was sie entwarf und nähte, eine Schablone für die moderne Frauenmode.“
Gabrielle Chanels Biografie, dieses Aschenputtel-Märchen, blendet: Da sind die Jugendjahre des bitterarmen Waisenkindes im Kloster, die Zeit des Ladenmädchens, das von den Nonnen das Nähen gelernt hatte. Da sind die Abende als Chansonette in Militär-Cafés: Ihr Lied vom Hündchen Coco verlieh der Interpretin den Kosenamen.
Es folgten schillernde Jahre an der Côte d’Azur an der Seite von Pablo Picasso und Jean Cocteau. Längst trug die weibliche High Society nicht nur Chanels Hutkreationen. In den 1920er-Jahren ließ Chanel die Bequemlichkeit hochleben und betonte die natürlichen Formen des Körpers, indem sie Stoffe nähte, die fließen, ganz ohne Unterröcke und stützende Korsette.
Die Ausstellung in London umfasst sechs Jahrzehnte, von 1910 bis zu Chanels Tod 1971. Die Designerin hat zeitlebens experimentiert. Die Kuratorin: „Manche Farben und Materialien sind unglaublich – eine Vibration geht noch immer von ihnen aus.“ Dabei nahm Chanel Anleihen an der Einfachheit der Männermode, stattete auch Frauen-Jacken mit praktischen Taschen aus. Sie verarbeitete englischen Tweed und Jersey, ein Material, das bis dahin eher für Herren-Pyjamas und Polohemden in Verwendung war.
Chanel pflegte ihre Marke konsequent. Als die Power-Unternehmerin das Parkett der gehobenen Mode betrat, waren Couturiers keineswegs Teil der High Society, hatten eher Bediensteten-Status. Erst Coco erreichte, dass man plötzlich wusste, wer „die Schneiderin“ namens Chanel war, wie sie aussah, welcher Geliebter sie gerade begleitete…
Eine Villa in „Nonnen-Farben“
Trotz ihrer zahlreichen Affären, unter anderem mit Igor Strawinsky, den sie finanziell unterstützte, oder dem Duke of Westminster, einem der reichsten Aristokraten, blieb sie immer selbstbestimmt. Sie arbeitete, auch wenn der Duke das für überflüssig hielt. Zu viel Wohlstand mache träge, meinte sie.
Nicht, weil Coco Chanel schillerndes Mitglied der High Society war, trug man ihre Mode. Es war umgekehrt. Ihre prägenden Galeerenjahre verewigte sie in ihrer Architektenvilla „La Pausa“, die sie 1928 auf den Hügeln von Roquebrune an der Côte d’Azur errichten ließ – mit einer großen Steintreppe im Zentrum, ganz ähnlich jener im Kloster ihrer Mädchenjahre. Die Villa, eingerichtet in den „Nonnen-Farben“ weiß, schwarz und beige, steht seit 2015 wieder im Eigentum des Hauses Chanel und dient kulturellen Aktivitäten.
Noch eine Villa in Südfrankreich wird mit Chanel-Kulturaktivitäten bespielt: Zum Hunderter der Architektur-Ikone Noailles in Hyères hat Chanel ein Jahresprogramm bis Jänner 2024 lanciert. Schon allein das Haus lohnt einen Besuch: Bauherrin Marie-Laure de Noailles finanzierte mit ihrem Mann nicht nur dieses Monument der Moderne – sie trug auch Chanels Haute-Couture-Kreationen, die im Haus nun ausgestellt sind.
Seit 2011 betreibt Chanel zudem eine Stiftung für die Förderung von weniger betuchten Frauen und Mädchen auf allen Kontinenten. Die jüngste Modeschau in Afrika, „Chanel in Dakar“, ist gerade in einer Arte-Doku erlebbar. Der Chanel Culture Fund, pflegt, aufbauend auf der Tradition des Chanel-Kultursponsorings, Partnerschaften mit renommierten internationalen Kulturinstitutionen. Der Chanel Next Prize vergibt je 100.000 Euro an zehn Künstler, wenn sie ihr Metier radikal neu definieren – so, wie es Coco einst getan hat.
Gabrielle Chanel hat nie eine Selbstbiografie verfasst, sie lebte lieber ihr Leben als Vexierspiel. Mit Kleidern hat sie alles gesagt. Manche Nähte waren krumm: Während des Krieges pflegte sie ein Naheverhältnis zu einem deutschen Offizier, unterstützte aber gleichzeitig die Résistance. Nach dem Krieg machte Coco elf Jahre Mode-Pause, um mit siebzig nochmals durchzustarten: mit dem Tweedkostüm und den zweifarbigen Pumps, Kleidungsstücken, die bequem waren, in denen man sich bewegen, sogar tanzen konnte. Luxus muss bequem sein, sonst ist es kein Luxus, meinte die Couturière.