»Die besten Bonhoeffers sind unter der Erde«
Berühmte Familie. Am 9. April 1945 wurde Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer hingerichtet. Nachgeborene aus der Dynastie Bonhoeffer-Dohnányi machen heute als Instrumentenbauer und mit neuen Büchern von sich reden.
8. April 2023
Als der lutherische Theologe Dietrich Bonhoeffer am 9. April 1945, kurz vor dem Eintreffen der Amerikaner, im KZ Flossenbürg gehängt wurde, war er 39 Jahre alt und seit zwei Jahren inhaftiert. Seine Schriften aus den Gefängnissen wurden in 19 Sprachen ediert. Sie verweben in bildhafter Klarheit eine hochgradige humanistische Bildung mit anspruchsvoller Theologie und erwiesen sich als vielfältig zitierbar: für Denker der DDR ebenso wie für Vertreter der amerikanischen Black Theology.
Bonhoeffer wusste, dass die Zeit der kirchlichen Religiosität vorüber war. Er predigte eine Übereinstimmung von Glauben und Handeln im Jetzt. Hatte er als junger Theologe den Krieg noch als notwendiges Übel gesehen, so formulierte er Anfang der 1930er-Jahre, dass „der nächste Krieg entschlossen zu ächten sei“, weil er den „Blick auf die Offenbarung“ raube. Eine internationale Friedensordnung sei notwendig, um die sichere Selbstvernichtung der Kampfparteien zu verhindern. Dass Bonhoeffer 1933 als Auslandspfarrer in London landete, war keine Flucht. Er folgte rasch dem Rat seines Theologen-Freundes Karl Barth, dass eine solche „Germanengestalt wie Sie“ zurückkehren müsse: Weil er ein Deutscher sei und weil das Haus seiner Kirche brenne.
Gegen die kollaborierende Reichskirche
Bonhoeffer wurde zum Mitbegründer der „bekennenden Kirche“, die sich gegen die gleichgeschaltete Reichskirche positionierte. Als Intellektueller war er ein Revolutionär und zugleich ein Konservativer. Er liebte das Predigen in den Arbeitervierteln Berlins und dachte trotzdem elitär. Er konspirierte mit den Widerständlern um Admiral Wilhelm Canaris, das System reagierte zunächst mit Sprech- und Veröffentlichungsverbot. Nachdem nach gescheiterten Attentatsversuchen im September 1944 Schriftstücke der Mitverschwörer im Wehrmachtsbunker in Zossen gefunden worden waren, folgten auch für Bonhoeffer Haft und Hinrichtung.
In den Folge-Generationen der verschwägerten Familiendynastien Bonhoeffer-Dohnányi erheben die Nachgeborenen weiterhin ihre Stimmen. Hier die musikalische des Dirigenten Christoph von Dohnányi, dort die mahnende von dessen Bruder, Klaus, dem sozialdemokratischen Politiker, der in seinem Buch „Nationale Interessen“ kurz vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs warnte, dass das Bestehen des Westens auf einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, das Nicht-Verhandeln Amerikas mit Russland just zu einem solchen bewaffneten Konflikt führen würde.
Kürzlich hat eine Vertreterin der nächsten Generation, Dorothee Röhrig, ein Buch über ihre Mutter, Barbara, veröffentlicht, die Schwester von Klaus und Christoph und Tochter des ebenfalls hingerichteten Hans von Dohnányi, Bonhoeffers Schwager. Um Politik geht es darin gar nicht. Röhrigs „Liebeserklärung an eine schwierige Mutter“ versucht aufzuarbeiten, warum diese Frau, die Vater, zwei Onkel und danach früh ihren Ehemann verlor, zur exzentrisch-dominanten, emotional sparsamen Mutter wurde. Das traditionelle Frauenbild, das Dietrich Bonhoeffer mit Unterordnung und Verantwortung für Haus und Familie beschreibt, steht in diametralem Gegensatz zu Röhrigs „Befreiungsversuchen“. Wenn die Mutter über die dramatische Familiengeschichte in der NS-Zeit redete, richtete sie ihrer Tochter aus: „Ihr habt ja keine Ahnung.“ Und: „Wir sind anders.“ „Die Dohnányis waren und sind in der Familie Bonhoeffer nicht nur beliebt. Sie gelten auch als unbescheiden und arrogant“, heißt es bei Röhrig.
Philipp Bonhoeffer, Enkel von Dietrichs Bruder Karl Friedrich Bonhoeffer und Urenkel des Komponisten Ernst von Dohnányi, reagiert im „Presse“-Gespräch erstaunt: „Ein Buch von Röhrig, davon wusste ich nichts. Typisch für mich.“ Der Kardiologe, Musiker und Instrumentenbauer konnte sich in der Toskana, dank medizinischer Patente finanziell unabhängig, seinen Lebensmittelpunkt mit Werkstatt und Konzertsaal schaffen. „Mit viel Technologie“ baut er alte Musikinstrumente nach. Fast 50 Kopien sind es bisher. Sie werden „an sehr gute junge Künstler“ verliehen. So spielt etwa der Wiener Matthias Bartolomey sowohl das sogenannte Löwenkopf-Cello seines Vaters als auch ein neues Löwenkopf-Cello von Bonhoeffer.
Hat der Name Dietrich im Leben Philipp Bonhoeffers eine Rolle gespielt? Auf diese Frage habe „schon Christoph von Dohnányi keine Antwort gehabt“, erinnert sich Philipp. „Unser Vater hat immer gesagt, unsere Familienmitglieder sind wie Kartoffeln, die besten sind unter der Erde.“
Dorothee Röhrig: „Du wirst noch an mich denken“ (DTV).
Klaus von Dohnányi: „Nationale Interessen“ (Siedler).