Kunst. Zwei Ausstellungen in Deutschland kreisen um die sexualisierte Frau: In Hamburg kann man mit historischen „Femmes fatales“ chatten. In Köln Susanna im Bade beistehen.
21. Februar 2023
Der Typus der Femme fatale sei out. Finden die Ausstellungsmacher der Kunsthalle Hamburg — und widmen dem Stereotyp der schönen, männerverschlingenden Frau dennoch eine epochenübergreifende Schau. Das Besondere daran sind nicht die Fußnoten zu den Themen „Blick, Macht, Gender“, die den Gemälden von Dante Gabriel Rossetti, Gustave Moreau, Franz von Stuck, Max Liebermann, Oskar Kokoschka, Valie Export bis hin zu queer feministischen Videos wie „Salome 2019“ von Nan Goldin hinzugefügt werden.
Als die Kunstgeschichte diese gefährliche weibliche Spezies im frühen 19. Jahrhundert entdeckte, war das Sujet keine Neuerfindung, sondern dekadentes Revival der Figuren Judith, Salome und Medusa. Das ausgehende 19. Jahrhundert projizierte diese Klischees dann noch auf reale Frauen — Alma Mahler, die Tänzerin Anita Berber oder die Schauspielerin Sarah Bernhardt.
Was die Präraffaeliten prickelnd fanden, wurde um 1920 versachlicht. Um 1960 versetzten die Feministinnen den Femmes fatales dann den Todesstoß. Und in der Ära von MeToo scheinen sie endgültig unter der Erde gelandet zu sein. Doch die großen Heroinen der Kunstgeschichte sind nicht mundtot zu machen: Witzig, teils selbstkritisch, teils autobiografisch kommen die in Misskredit geratenen Schönen in der Ausstellung selbst zu Wort. Ein Chatbot-Modul ermöglicht einerseits den Dialog mit sechs der fatalen Damen auf den Gemälden — man kann beispielsweise die schöne Helena fragen, was ihr Lieblingsessen ist. Die Antwort lautet: „Fleisch“. Und Circe erklärt in einem kurzen Video: Ja, sie verwandle Männer in Schweine. Aber nur solche, die sich zuvor wie solche benommen hätten.
Makarts Nackte sorgte für Ärger
Das Bild der klassischen Femme, das sich aus biblischen, mythologischen und literarischen Motiven speiste, wurzelte freilich in der männlichen Dämonisierung weiblicher Sexualität. Nicht nur die meisten Maler, auch die meisten Käufer waren Männer. Einem dieser Künstler aus Wien ist gerade die Parallelausstellung in der Hamburger Kunsthalle gewidmet: „Makart making history“. Das mit 50 Quadratmetern größte Gemälde dort zeigt den Einzug Karls V. in Antwerpen — mit nackter Frau im Vordergrund. 2020 hat das „Skandalbild“ das Depot verlassen und ist nun wieder ausgestellt. Makart hat die Szene nach Dürers Aufzeichnungen gemalt. Aber die Nackte? Musste das sein? Die Tatsache, dass eine junge Unbekleidete den Festzug quasi als „Garnierung“ flankiert, hat in Hamburg Staub aufgewirbelt. In Wien, im Belvedere, befindet sich übrigens ebenfalls ein Makart mit dem Einzug Kaiser Karls V. — allerdings mit bekleideter Frau!
Nicht um skandalöse Textilfreiheit, sondern um handfeste männliche Bedrohung geht es bei „Susanna im Bade“. Köln bietet die weltweit erste Ausstellung zur biblischen Susanna in der Kunst. Das Sujet hat Künstler wie Artemisia Gentileschi, Anthonis van Dyck, Eugène Delacroix, Edouard Manet, Lovis Corinth sowie heutige Künstlerinnen wie Zoe Leonard inspiriert. Oder auch Hitchcock — in seinem Film „Psycho“ verdeckt Norman Bates das Guckloch, durch das er sein Opfer beobachtet, mit einem Susanna-Gemälde.
Nötigung und Machtmissbrauch
Die Geschichte dahinter stammt aus einem Zusatz zum Buch Daniel des Alten Testaments, entstanden 200 n. Chr. und nur auf Griechisch erhalten, ohne hebräisches Original: Susanna badet im Garten. Zwei alte, weiße Männer, Richter noch dazu, stellen ihr nach. Die Lüstlinge sind in Begierde entbrannt. Als Susanna ihre Dienerinnen wegschickt, damit sie ihr Badezusätze bringen, wird sie von den Alten bedrängt. Würde sie sich weigern, ihnen zu Willen zu sein, droht ihr eine Anklage wegen Ehebruchs. Susanna widersetzt sich den Männern, wird ohne Prozess schuldig gesprochen, doch vom Propheten Daniel errettet.
Dargestellt wird ein Kriminalfall, es geht — mindestens — um Nötigung, um Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt. Schluss mit lustig. Man wolle das Motiv weder verharmlosen noch historisieren — sondern diskutieren, so die Kuratoren. So werden auch gleich Hilfsadressen für heute Betroffene angegeben. Sprechen können die Susannas in Köln übrigens nicht. Es gibt dennoch Interaktion mit dem Publikum: Museumsbesucher dürfen ihre Gedanken dazu in Sprechblasen auf Susanna-Postkarten hinterlassen.