Die Leidenschaft des Ehepaars Ludwig
Stiftung Ludwig. Ein neues Buch gibt Einblicke in die Aktivitäten von Irene und Peter Ludwig. Kaum einer weiß, dass auf ihrer Sammlung das Mumok beruht. Bürokratie und Proteste gegen das „Museumsmonster“ konnten sie nicht aufhalten.
4. September 2023
Im Jahr 2001 öffnete das Mumok – das Museum moderner Kunst – im Wiener Museumsquartier seine Pforten, damals noch mit dem Zusatz im Titel „Stiftung Ludwig Wien“. Gerade erst wurde eine monatelange Schließzeit zwecks baulicher Sanierungen verkündet. Eine gute Zeit für Rückblicke – ein Gesprächsbuch mit Zeitzeugen gibt dazu die Möglichkeit: Für die Publikation „Irene und Peter Ludwig. Einblicke in die internationalen Aktivitäten des Sammlerpaares“ sprach Regina Wyrwoll mit Zeitzeugen (erschienen im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, 2023).
Der Motor für das Wiener Projekt war einst Hans Mayr, der damalige Präsident des Wiener Künstlerhauses, der mit einer Ausstellung mit Werken der Moderne aus der Sammlung Ludwig in Aachen eine Leuchtrakete für sein Haus abgefeuert hatte. Hinter den Kulissen war man sich allerdings einig: Österreich war nicht übermäßig an zeitgenössischer Kunst interessiert. Die Stolpersteine für ein neues Museum, und mochte es auf noch so großzügigen „Gaben“ basieren, waren zahlreich.
Lóránd Hegyi, später der zweite Direktor des Mumok in Wien, erinnert sich an Massendemos, bei denen auf Transparenten gewarnt wurde: „Das Museumsmonster darf nicht kommen.“ Es kam – ganz in Schwarz! Wien sollte für die Ludwigs eine Premiere werden – es war ihre erste Schenkung außerhalb Deutschlands. Hermann Fillitz, ehemaliger Direktor des Kunsthistorischen Museums und Berater der Ludwigs, war prinzipiell unglücklich darüber gewesen, dass es in Wien nie zu einer Arbeitsteilung der Museen gekommen war.
„Ach, Wien ist völlig uninteressant“
Idealerweise hatte man eine Art Centre Pompidou für Wien angedacht, doch in der Realität werkten Albertina, Belvedere und andere parallel. In dieser Stunde, da sie nichts voneinander wussten, fragte Fillitz seinen Freund Peter Ludwig: „Was ist mit Wien?“ Die Antwort war ernüchternd: „Ach, Wien ist völlig uninteressant.“ Doch als der deutsche Schokoladenfabrikant das Palais Liechtenstein gesehen hatte, war der Funke übergesprungen: „Dieses Haus mache ich euch voll.“ 1981 gründete der „Macher“ die Österreichische Ludwig-Stiftung mit Leihgaben – später Schenkungen – bedeutender Werke von Pablo Picasso über Andy Warhol bis Gerhard Richter. Die Hürden der Wiener Bürokratie hat Ludwig negiert, der durchsetzungsstarke Mayr arbeitete für ihn; und gegen „Kunst-Kritik“ war Ludwig, wiewohl persönlich eitel, ohnehin immun.
Als der Ostblock implodiert war, prallten auch in der Kunstwelt westliches Marktsystem und sowjetisches Versorgungssystem aufeinander. Ludwigs Frage anlässlich von Atelierbesuchen, „Was kostet das Werk?“, löste bei Künstlern im Osten oft Hilflosigkeit aus. Ludwig kaufte in Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Russland, und schenkte den Museen dieser Länder hochkarätige West-Kunst, die man dort noch nie gesehen hatte.
Er war überzeugt: Jede Epoche hat ihre Kunst, die Ausdruck der Zeit ist, ob wir sie positiv oder negativ bewerten. Es reizte ihn, jenen Einheitsstil, der aufgrund der gleichgeschalteten Kulturpolitik entstanden war, zu dokumentieren – bevor die Ära im globalem Kunstkontext aufgehen würde. Als gewiefter Kaufmann wusste er um den Wert seiner Dauerleihgaben und Schenkungen und genoss es, selbst zu entscheiden. Der Politik traute er eher nicht.
Wer waren Irene und Peter Ludwig, die von der Kunstwelt teils skeptisch, teils spöttisch abgeurteilt wurden? Er hatte ein Jusstudium zugunsten der Kunstgeschichte an den Nagel gehängt und über Picasso dissertiert. Sie, Erbin der Schokoladenfabrik, studierte ebenfalls Kunstgeschichte, wo sie den „missionarischen Machtmenschen“ kennenlernte. Kunst diente den beiden, um sich immer wieder mit Neuem zu berauschen.
Großzügig – nicht nur mit Pralinen
In der Rolle klassischer deutscher Großbürger gingen die beiden respektvoll mit Künstlern um. Er betrachtete Galeristen als Kaufleute, verhandelte hart, direkt und offen, war aber auch großzügig – nicht nur mit Kartons von Pralinenschachteln. Durch den Verkauf mittelalterlicher Handschriften aus seiner Sammlung hatte er die Schokofabrik, einst Leonard Monheim AG, ab 1986 Ludwig Schokolade GmbH, finanziell gerettet.
Es war eine spezielle Leidenschaft der Ludwigs, für die Öffentlichkeit zu sammeln. Weltweit entstanden zwölf Ludwig-Museen, beispielsweise auch in Basel, Budapest, Peking und St. Petersburg. Bei Besuchen in Moskau ließ Ludwig auf der Fahrt vom Flughafen stets bei Supermärkten anhalten, um zu kontrollieren, ob seine „Schoggies“ auch in den Regalen zu finden waren!
Gottfried Toman, als Geschäftsführer der Österreichischen Ludwig-Stiftung einer der Insider, bestätigte Ludwigs Aussage, er brauche die Kunst, um sich von der Arbeit zu erholen, und die Arbeit, um sich von der Kunst zu erholen. Die Lust, Kulturpolitik mit dem eigenen Geld zu machen, spielte wohl auch eine Rolle. Hans Ewald Schneider, Kuratoriumsmitglied der Ludwig-Stiftung, nannte den Mann, der Wien zu einem Museum für die Moderne verholfen hatte, einen Bourgeois und Avantgardisten.
Peter Ludwig starb 1996. Er soll ein weites Kunstherz gehabt haben, sparte aber einen Joseph Beuys konsequent aus. Doch er musste sich vor niemandem rechtfertigen.