Dem Erfolg folgte die Verfolgung
Theatermuseum. Auf einem Erinnerungspfad durch das Palais Lobkowitz kehren von den Nazis vertriebene Akteure der Wiener Kulturszene aus der Vergessenheit zurück.
Als Marie-Theres Arnbom, Direktorin des Wiener Theatermuseums, im Jänner dieses Jahres an einer Uni-Veranstaltung zu ihrem Herzensthema, ausgelöschtes jüdisches (Kultur-)Leben, als Gast teilnahm, entstand eine spontane Idee: Gemeinsam mit Birgit Peter und Theresa Eckstein vom Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften schmiedete man ein Interventionsprojekt wider das Vergessen. Studenten recherchierten „in den Archiven des Theatermuseums und der Theaterwissenschaft, die ohnehin verschränkt sind“, erklärt Arnbom. Wiederaufgelebt sind so 14Biografien jüdischer Kunstschaffender, die, so das Motto, Beweise liefern für die „Gleichzeitigkeit von Erfolg und Verfolgung“.
Man überlegte ein rasch realisierbares grafisches Konzept: Lebensgroße Pappfiguren repräsentieren die vergessenen Künstler, deren Gesichtszüge allerdings auf verstörende Weise nicht in der Kopfregion, sondern im Bereich des Rumpfes aufscheinen.Irritation ist durchaus Teil des Figuren-Defilees, das sich vom Stiegenhaus des Palais Lobkowitz bis in die Schauräume zieht. Arnbom: „Wir haben hier gerade eine Ausstellung zur Dynastie der Marischkas laufen. Da passen diese Biografien perfekt hinein, in diese Welt von Operette und Revue.“
„Jeder kannte jeden“
Trennungen zwischen den Metiers Regie, Journalismus, Schauspielkunst und Gesang sind gar nicht möglich. „In der künstlerischen jüdischen ,Blase‘ der 1930er-Jahre kannte jeder jeden. Die Namen kommen immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen vor“, wissen die beteiligten Studenten zu berichten. Jeder der Pappfiguren ist eine Zeitungsdoppelseite im Stil der 1930er-Jahre zugeordnet, in der die Persönlichkeit inForm von Interviews oder Reportagen vorgestellt wird . Der Besucher kann sich anstelle eines Katalogs ein individuelles „Wiener illustriertes Blatt für die kosmopolitische Welt“ zusammenstellen – ein Tribut an das analoge Zeitalter. Die Intervention ist aber auch umfangreich digital zu erleben.
Nicht nur die Präsentation schließt ans Heute an. Arnbom: „Welche Aktualität diese Intervention politisch haben würde, das hat uns grausam überrascht.“Wer sind nun die „erfolgreich Verfolgten“? Menschen, die sich innerhalb eines Kosmopolitismus bewegten, den die Ausstellungsmacher als ebenso ausgelöscht empfinden wie die Lebensspuren auf dem Wiener „Walk of Fame“.
Beispielsweise die bildschöne Schauspielerin Lia Rosen, die von Else Lasker-Schüler adoriert wurde und ein Jahr lang als Volontärin bei Max Reinhardt in Berlin engagiert war. Oderdie Pianistin, Komponistin und Musikverlegerin Camilla Frydan, die den Bruder Egon Friedells geheiratet hatte. Oder Heinrich Glücksmann, Autor der „Neuen Freien Presse“ und Dramaturg am Deutschen Volkstheater, der Stücken von Arthur Schnitzler und Stefan Zweig zu Erfolgen verhalf und als überzeugter Pazifist eng mit Bertha von Suttner kooperierte.
Oder Hans Liebstöckl, ursprünglich deutschnationaler Student, der sich nach dem Engagement durch einen jüdischen Schriftsteller zu einem Mahner gegen den Antisemitismus entwickelt hatte. Oder die Regisseurin Maria Gutmann, die 1929 ihr Regiedebut am Raimundtheater erlebte undnach ihrer Heirat in New York gemeinsam mit ihrem Mann die Horch-Literaturagentur betrieb, die unter anderem Thomas Mann, Arthur Schnitzler und Robert Musil vertrat. Verquickungen zwischen prominenten Namen und Vergessenen sind von Figur zu Figur erlebbar.
Man stößt schließlich auch auf Else Feldmann, eine Schriftstellerin mit Fokus auf Sozialkritik. Sie schrieb ein Theaterstück mit dem bezeichnenden Titel „Der Schrei, den niemand hört“.